Joumana Haddad - Wie sie Scheherazade tötete

Teaser Bild Untertitel
Joumana Haddad bei der Präsentation ihres Buches in der Heinrich-Böll-Stiftung
„Klischees, Verallgemeinerungen und Vorurteile in der westlichen Welt“ – auch diesen Titel hätte die Buchvorstellung mit der libanesischen Autorin Joumana Haddad tragen können. Den Alternativvorschlag für das Motto des Abends macht die Autorin selbst, gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion. Um sofort klarzustellen: „Schizophrenie, Herdentrieb und Stillstand in der arabischen Gesellschaft passen auch. Beide Titel sind okay.“ Der alternative Titelvorschlag benennt den Spagat, den die Journalistin und Lyrikerin mit ihrer provokanten Streitschrift „Wie ich Scheherazade tötete“ versucht: zwischen harter Kritik an den Arabern mit all ihren Tabus und selbst auferlegten Fesseln einerseits – und an der westlichen Welt mit ihren stereotypen Vorstellungen von der unterdrückten arabischen Frau auf der anderen Seite.


Die Lesung aus den „Bekenntnissen einer zornigen arabischen Frau“, wie der Untertitel ihres neuen Buches lautet, beginnt Haddad denn auch mit einer Warnung an das – vorwiegend westliche – Publikum. „Ich bin nicht gerade bekannt dafür, anderen das Leben leichter zu machen“, lächelt die knapp 40-Jährige und streicht die langen schwarzen Locken aus dem Gesicht. „Obgleich ich das bin, was man eine arabische Frau nennt, bin ich nicht verschleiert, gefügig, ungebildet, unterdrückt und schon gar nicht unterwürfig.“ Den Anstoß zum Buch, erzählt Haddad später, gab das Interview, das eine schwedische Journalistin vor zwei Jahren mit ihr führte. Da hatte sie gerade „Jasad“ („Körper“) gegründet, das erste Magazin in der arabischen Welt, das Körperlichkeit nicht versteckt und zensiert, sondern offen zum Thema macht. „Wie kommt eine arabische Frau wie Sie dazu, eine kontroverse erotische Zeitschrift zu publizieren?“, fragte die Reporterin. „Nur den wenigsten im Westen ist bewusst, dass es auch befreite arabische Frauen gibt.“ Haddad machte die Frage, die wohl als Kompliment gemeint war, wütend. Sie schrieb einen Brief, aus dem ein Artikel wurde, schließlich ein Essay und am Ende das Buch.


Wütend und unterhaltsam

Mit der wütenden und zugleich unterhaltsamen Streitschrift trotzt Haddad dem verächtlichen Blick von außen. „Wissen Sie, was es heißt, mit einem libanesischen Pass ein Visum zu beantragen?“, fragt sie ins Publikum. Manchen der arabischstämmigen Gäste im Berliner Publikum werde das aus eigener leidvoller Erfahrung bekannt sein, sagt die Moderatorin Andrea Dernbach vom Tagesspiegel. Auch nach Jahrzehnten im Land werde er noch immer auf sein Verhältnis zur Religion und zur angeblichen Leitkultur befragt, klagt ein Palästinenser, der zur Lesung gekommen ist. Arabische Frauen in Europa würden vor allem dann wahrgenommen, wenn sie augenscheinlich schlecht integriert, streng religiös oder auf eine andere Weise erkennbar abgeschottet lebten, ergänzt Haddads Podiumspartnerin Hoda Salah von der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients an der Freien Universität Berlin. „Die anderen nimmt man nicht wahr.“

Haddad setzt dem das Bild einer mutigen, äußerst selbstbewussten und zu allem entschlossenen Frau entgegen – ihre eigene Biographie. Sie handelt von de Sade, Selbstbefriedigung und einem Gedicht, in dem das Wort „Penis“ vorkommt – unverblümt anstelle einer der üblichen harmlosen Metaphern. Der Unmut ihrer katholischen Eltern war der damals 25-Jährigen gewiss. Pointiert schildert Haddad die eigene Selbstbefreiung in einem konservativen Elternhaus und einer traditionsbewussten Gesellschaft. Scheherazade macht sie den Garaus, weil die einlullende Märchenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht ihr gehörig gegen den Strich geht: „Frauen soll eingeredet werden, sie könnten es im Leben zu etwas bringen, wenn sie nur dem Mann gefällig und zu Diensten sind, sei es, indem sie ihm schöne Geschichten erzählen oder ihm ein leckeres Essen servieren, sei es durch ein paar Silikontitten, einen guten Fick oder was auch immer.“ Ihren Geschlechtsgenossinnen in der arabischen Welt – und anderswo – will Haddad auch Beispiel und Ansporn sein: „Jede Araberin trägt auch selbst Verantwortung für ihre Lage“, ist sie überzeugt.


Alle monotheistischen Religionen eignen sich zur Unterdrückung der Frau

Doch haben es muslimische Frauen in der arabischen Welt nicht ungleich schwerer als Haddad, die aufgeklärte Katholikin? Hätte sie als Muslima überhaupt ein so kontroverses Projekt wie „Jasad“ starten können, ein Magazin, das in keinem arabischen Land außer dem Libanon verkauft werden darf – und auch dort nur diskret eingeschweißt wie ein Pornoheft? Hätte sie gewagt zu schreiben, dass Religion, sobald sie in die Bereiche des privaten und öffentlichen Lebens vordringt, „unweigerlich jede Chance auf Freiheit, Ausgeglichenheit und Objektivität zunichte macht“? Haddad lässt solche Fragen nicht gelten – jedenfalls nicht von Skeptikern und Voreingenommenen, die nicht wie sie 14 Jahre auf einer strengen Klosterschule waren. „Alle monotheistischen Religionen sind bestens geeignet, um Frauen zu unterdrücken“, ist die Libanesin überzeugt, die sich heute als Agnostikerin bezeichnet. „Ich will einen Mann in der Burka sehen und eine Frau auf dem Stuhl des Papstes“, ruft Haddad, um dann noch bibelfest aus dem Brief des Apostels Paulus an Timotheus zu zitieren: „Eine Frau soll sich still und in aller Unterordnung belehren lassen.“

Überhaupt die Religion: Für die arabische Zensur berge das Kapitel über Allah den meisten Sprengstoff, ist Haddad überzeugt – sollte ihr Buch jemals auf Arabisch erscheinen. Immerhin greife sie keinen Politiker direkt an, sagt die ägyptischstämmige Politologin Salah, das könne die Zensoren gnädig stimmen. Und überhaupt habe sie die politische Analyse in ihrem autobiographisch-essayistischen Buch weitgehend ausgespart, merkt die Moderatorin Dernbach an. Dem widerspricht Haddad entschieden: „Im ganzen Buch geht es um Politik.“ Namen müsse sie keine nennen, denn in der arabischen Welt seien alle Machthaber Diktatoren. Und von der Mediokrität der libanesischen Politikerklasse nimmt Haddad nur zwei Männer aus: die Minister für Inneres und Information, denen Kunst- und Meinungsfreiheit am Herzen liegen – sonst hätten sie ihr Magazin „Jasad“ schon längst aus dem Verkehr gezogen.


Gegenseitige Klischees und Vorurteile

Doch worin liegt das begründet, was Haddad die allgegenwärtige Schizophrenie der Araber nennt, die Spaltung zwischen jenem, was die Menschen denken und jenem, was sie sagen und tun? Was ist die Ursache für Stillstand und Herdentrieb? Haddad kann kaum glauben, dass in Deutschland tatsächlich über die unterschiedliche Qualität der Gene von Einwanderern diskutiert wird. „An der genetischen Unterlegenheit wird es wohl tatsächlich nicht liegen“, lacht sie und schüttelt den Kopf. Drei Gründe fallen der Autorin schließlich ein: das Scheitern säkularer Regime in der arabischen Welt, die vermehrte Zuwendung zum Fundamentalismus und schließlich auch die Reaktion auf die vermeintliche oder tatsächliche Invasion westlicher Werte.

Dabei existierten in der arabischen Welt genauso viele Klischees und Vorurteile wie im Westen, sagt Haddad und zitiert das Bild von der überarbeiteten, einsamen und ausgebeuteten Europäerin, wie sie sich manche Araber vorstellen. „Es gibt genauso wenig die deutsche Frau, wie es die arabische Frau gibt.“ Von Etiketten wie „muslimisch“, „arabisch“, „christlich“ oder „libanesisch“ müsse man sich verabschieden, wenn man wirklich etwas über die einzelnen Menschen erfahren wolle. Vor allem die Religion, fordert die Agnostikerin, dürfe nicht länger zur Beurteilung herangezogen werden. Umso enttäuschender, fügt Salah hinzu, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Integrationsdebatte nun auf die christlich-jüdische Kultur berufe. „Die deutsche Leitkultur müsse doch Freiheit und Menschenrechte sein“, sagt die Politikwissenschaftlerin. „Wenn wir uns jetzt wieder auf die Religion stützen, dann geht es uns wie den säkularen arabischen Ländern, die sich dem politischen Islam zuwenden.“
 
 

Galerie der Buchpräsentation und Podiumsdiskussion mit Joumana Haddad

Joumana Haddad ist eine libanesische Lyrikerin, Journalistin und Übersetzerin. Sie schreibt und lebt in Beirut. Sie ist Feuilletonistin der Zeitung AL-Nahar und Herausgeberin der Zeitschrift JASAD (Körper), die sie 2009 in Beirut gründete.
 

Anschließende Podiumsdiskussion mit:

  • Joumana Haddad, Journalistin und Autorin, Beirut
  • Hoda Salah, Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients an der Freien Universität Berlin
  • Moderation: Andrea Dernbach, Der Tagesspiegel, Berlin